Torsten Truscheit | 1990

Als ich am frühen Morgen des 24. Februar 2022 von Putins Angriff auf die Ukraine erfuhr, musste ich sofort an mein erstes Semester an der Uni Siegen denken: Eine Art Déjà-vu zum 17. Januar 1991, als in den Morgennachrichten vom US-amerikanischen „Desert-Storm“-Luftangriff auf irakische Truppen in Kuwait berichtet wurde. Der Zweite Golfkrieg ist zwar nicht vergleichbar, aber lag – wie auch der Ukrainekrieg – seit Wochen in der Luft. Beide Angriffe wirkten im Vorfeld unvorstellbar und waren bzw. sind mit der Angst vor dem Dritten Weltkrieg verbunden.

Mein gerade begonnenes Medienstudium stoppte abrupt. Stattdessen zogen wir mit Bannern durch die Hörsäle, um Studenten und Dozenten zur Spontan-Demo aufzurufen. Wir organisierten einen Uni-Streik mit studentischen Wachposten vor allen Eingängen, damit kein Student die Uni betreten konnte. Selbst von flehenden Worten: „Wir brauchen doch unseren Matheschein“ ließen wir uns nicht erweichen. Wie hätten wir / ich einfach normal weiter studieren können in Anbetracht des Krieges? Ich dachte, wenn ich jetzt nicht aktiv werde, wann dann?

Während die ursprünglichen Seminare und Vorlesungen „studentenleer“ blieben, organisierten wir Alternativen z.B. mit einem amerikanischen Dozenten, der uns von den kreativen Protestaktionen amerikanischer Studenten zum Vietnamkrieg berichtete. Wir richteten unabhängige, telefonische Nachrichtenketten nach Kuwait ein und informierten auf Stellwänden vor der Bibliothek vom Leid der Zivilbevölkerung, um die neuartigen Fernseh-Kriegsbilder, die einen „sauberen Krieg“ mithilfe von „chirurgisch, präzisen Angriffen in Computerspielästhetik “ suggerierten, kritisch zu hinterfragen. Und mithilfe des AVMZ (heute ZIMT) entstand sogar ein Dokumentarfilm über die letzte Antigolfkriegsdemo in Siegen, mein erster filmischer Gehversuch. Irgendwo muss noch eine VHS-Kassette existieren. Wohl dem, der noch einen Player hat!

Torsten Truscheit (by Tom Catchesides) | 2021

Torsten Truscheit studierte im ersten Jahrgang des Diplom-Studiengangs „Medien-Planung, -Entwicklung und -Beratung“ von Okt. 1990 bis Juli 1996 an der Universität Gesamthochschule Siegen. Weitere Filmstudien führten ihn an die EICTV-Filmhochschule in Kuba und an die Filmakademie in Ludwigsburg. Seit 1998 realisiert er vorwiegend Dokumentarfilme, die sowohl im Fernsehen als auch auf zahlreichen internationalen Festivals liefen. Er wurde für den Adolf Grimme Preis und die Oscar-Shortlist nominiert.