Navid Kermani erhält Ehrendoktorwürde
Der Schriftsteller und gebürtige Siegener wird für seine herausragenden wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Arbeiten mit der Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen ausgezeichnet und stößt mit seinem Festvortrag zum „generischen Maskulinum“ eine engagierte Diskussion an.
Der Orientalist, Islamwissenschaftler, Schriftsteller, Redner und Intellektuelle Dr. Navid Kermani hat die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät Universität Siegen erhalten. Die Verleihung fand im Rahmen der Festwoche zum 50-jährigen Bestehen der Universität Siegen statt, und wie so oft in diesem Tagen füllte sich der Friedrich-Schadeberg-Hörsaal am Campus Unteres Schloss mit vielen interessanten und interessierten Gästen, darunter auch Isabel Pfeiffer-Poensgen, Nordrhein-Westfalens Kultur- und Wissenschaftsministerin. Ein nicht unerheblicher Teil des Publikums kannte den Ehrengast persönlich, denn der Wahl-Kölner Navid Kermani ist in Siegen geboren und aufgewachsen. Die Stadt, mit der der 54-Jährige familiär verbunden bleibt, wo er viele Lesungen hält, wo er zur Schule gegangen ist („Eine Schulkarriere, die nicht immer gradlinig verlaufen ist.“), die literarischer Spielort ist („Große Liebe“) und wo er nun durch die Ehrendoktorwürde ein „Teil der Universität Siegen geworden ist“, wie Rektor Prof. Dr. Holger Burckhart betonte.
Der Rektor freute sich sichtlich, dass die Veranstaltung, die pandemiebedingt mehrfach verschoben werden musste, nun in diesem von Herzlichkeit geprägten Rahmen stattfinden konnte. Keine Distanz zwischen Podium und Publikum. Das lag zum einen daran, dass Prof. Dr. Jörg Döring in seiner Laudatio bei der Beschreibung der wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Leistungen Kermanis den Bogen zwischen Fachlichem und Persönlichem spannte und den Gästen sowohl einen Islamwissenschaftler als auch den Philologen, Reisereporter, Redner und öffentlichen Intellektuellen vorstellte. „Navid Kermanis Reden werden nachgedruckt und nachgehört. Seine öffentliche Beredsamkeit hat das Interesse an Rhetorik wiederbelebt“, lobte Döring. Der Ehrengast – große Auftritte gewöhnt – zeigte sich an diesem Ort und bei diesem Anlass doch persönlich berührt. „Es ist für mich ein besonderer Tag“, betonte Kermani auch mit Blick auf seine Familie und die Siegenerinnen und Siegener, die Döring in seiner Laudatio erwähnt hatte.
Die Urkunde überreichte Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner, Prodekanin für Studium und Lehre an der Philosophischen Fakultät. Mit der Ehrendoktorwürde zeichne die Fakultät einen Islamwissenschaftler, Philologen und Schriftsteller aus. „Einen Intellektuellen, der Grundgesetz und Hölderlin, Krisen und Kafka zusammen denken kann“, so Albrecht-Birkner. Das Publikum erhob sich zum lang anhaltenden Applaus und im Saal war aufrichtige Freude auch jenseits akademischer Anerkennung zu spüren.
Gespannt waren die Gäste nun auf die Rede, die Kermani zu diesem Anlass halten würde. Das Thema seines Vortrags „Das generische Maskulinum“ hatte bereits im Vorfeld Reaktionen zwischen „Enthusiasmus und Entsetzen“ hervorgerufen, wie Rektor Burckhart verriet.
Kermani entfaltete das Thema in der ihm eigenen Weise literarisch und theologisch, zog Vergleiche zu anderen Sprachen und Gesellschaften. Ist das generische – oder übersetzt: neutrale – Maskulinum – ausschließend oder pragmatisch wichtig. „Keine Sprache der Welt nennt jedes Mal alle Geschlechter, wenn von einer gemischten Personengruppe die Rede ist, das wäre für die Alltagssprache zu umständlich und für die Poesie zu sperrig“, so Kermani. Sprache sei Ausdruck von Wirklichkeit, auch von sozialer Wirklichkeit und gegebenenfalls Ungleichheit. „Aber sie ist kein Instrument, um die Wirklichkeit zu verändern.“ Kermani vermutet, dass das generische Maskulinum aus der deutschen Sprache verschwinden wird. Aber, so der 54-Jährige: „Ich hoffe, dass die geschlechtsneutrale Verwendung männlicher Substantive und Pronomen wenigstens in meiner Lebenszeit noch nicht als Provokation missverstanden wird.“
Provoziert fühlte sich das Publikum bei der Diskussion zum Thema nicht, aber durchaus aufgerufen, Gegenpositionen deutlich zu machen. Auf dem Podium diskutierten Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Linguistin und Prorektorin Prof. Dr. Petra M. Vogel, Theologie-Professor Dr. Thomas Naumann (beide Uni Siegen) sowie der Germanist Thomas Kronschläger (TU Braunschweig). Er habe dieses Thema aus Respekt vor der Universität, die ein starke germanistische Tradition hat, gewählt, erklärte Kermani. „Und das Thema wird stark von Unis vorangetrieben.“ Er appellierte, Studierenden nicht vorzugeben, wie sie schreiben müssen. „Bei Sprachregelungen von oben werde ich nervös“, räumte Kermani ein. Einen solchen Zwang gebe es an der Uni Siegen nicht, betonte Prof. Vogel. Wohl aber einen Leitfaden für gendergerechte Sprache, ergänzte Naumann, mit dem er zu kämpfen habe. „Weil ich hin- und hergerissen bin, wie ich es richtig mache.“ Leitfäden leiten an, sie zwingen nicht, warf Kronschläger ein. „Die Zeiten gendern sich. Wir müssen neu denken lernen.“
Wichtig sei, dem einzelnen zu überlassen, wie er Sprache nutze, erklärte Ministerin Pfeiffer-Poensgen. „Die Freiheit muss man jedem zugestehen.“ Gesellschaftlicher Wandel passiert nicht einfach so, sagte Kermani auf Rückfrage, aber für viele sei das Gendern zum Kampf geworden. „Aber die Grammatik ist das falsche Feld für diesen Kampf. Die Instrumentalisierung der Sprache beschädigt nicht nur die Sprache, sondern auch den Kampf“, hob er hervor. Leitfäden wie die der Universität seien doch keine Auflage „von oben“, sondern vielmehr der Ausdruck einer Bewegung von unten, hielten die Diskutanten aus dem Publikum dagegen.
Moderator Armin Himmelrath sprintete mit dem Mikro durch den Hörsaal, um die Meinungen einzufangen und machte deutlich: „Die Diskussion ist an dieser Stelle nicht zu Ende.“ Die Universität hat ein Online-Forum eingerichtet, in dem weiter Stimmen zu Navid Kermanis Thesen gesammelt werden. Der neue Ehrendoktor will an und mit seiner Universität Siegen im Gespräch bleiben.
Rektor Prof. Burckhart überreichte Navid Kermani den Festband „fünfzig. Zwischen Räumen. Die Universität Siegen in den Jahren 1972 bis 2022“ und dankte ebenso Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: „Wie Navid Kermani haben auch Sie ein Herz für Siegen. Unsere Festwoche ist geprägt vom Dialog zwischen Kultur und Wissenschaft, daher danke ich auch in Anerkennung ihres Wirkens für Kunst und Kultur, das gerade während der Pandemie in Deutschland herausragend war.“
Musikalisch umrahmt wurde der Festakt von Prof. Martin Herchenröder (Klavier) und Carin Levine (Flöte). Neben Werken von Bach spielten die Musiker auch das Stück „Letzte Sicherheiten“, das Herchenröder, als Vertreter der Neuen Musik, für Navid Kermani geschrieben hat.
Im Foyer konnten die Besucher eine Ausstellung von Studierenden der Fächer Kunst, Architektur und Soziale Arbeit besuchen. Sie hatten sich mit dem literarischen Werk Navid Kermanis und der Architektur der Stadt Siegen beschäftigt.